Philosophie der Muster    Aufsatz "Denken ist Handeln"

Denken ist Handeln (2017)

Einige Thesen zu meinem Buch Wie Denken funktioniert

1. Was ist Denken?

Das Denken ist nach wie vor ein Rätsel. Es ist schon sehr merkwürdig, dass es den Philosophen bisher nicht gelungen ist zu klären, wie das Denken funktioniert, obwohl sie mit seiner Hilfe tiefschürfende Werke hervorgebracht haben. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass man das Denken nicht wie einen realen Prozess beobachten kann. Sobald man versucht, das Denken selbst zu beobachten, denkt man nicht mehr. Es kann auch nicht gelingen, Denkprozesse zu wiederholen, so wie man reale Prozesse experimentierend wiederholen kann, um es besser zu verstehen.

Im Folgenden wird die These vertreten, dass das Denken deshalb ein Rätsel geblieben ist, weil das Denken vom Handeln abgespalten wurde, obwohl unübersehbar ist, wie stark es mit dem Handeln verflochten ist. Wenn das Denken verabsolutiert wird, gerät aus dem Blick, dass sich das Denken für das Handeln entwickelt hat. Das Denken wird angestoßen, wenn das Handeln mit Problemen konfrontiert wird. Dabei werden Erfahrungen gemacht, die das zukünftige Handeln verbessern lassen.

2. Warum denken Menschen?

Vielleicht lässt sich ein neuer Zugang zum Denken finden, wenn geklärt wird, welche Funktion eigentlich das Denken hat.

Lange Zeit herrscht die Überzeugung vor, das das Denken ein Selbstzweck sei. Insbesondere beim philosophischen Denken glaubte man, dass es rein um der Erkenntnis willen betrieben wird. Als Vorbild des menschlichen Denkens galt des göttliche Denken. Prägend war die Überzeugung von Aristoteles, dass die Menschen im Denken am göttlichen Denken teilhaben und die Menschen die einzigen Wesen seien, denen dies möglich ist.

Seit der Verbreitung des evolutionären Denkens wird von vielen Denkern vermutet, dass sich das Denken als eine Fähigkeit zur Verbesserung des Überlebens entwickelt hat. Da das Überleben realitätsangepasste Handlungen voraussetzt, wird angenommen, dass das Denken das Handeln unterstützt. Damit wird das alte philosophische Dogma, dass das Denken nichts mit dem Handeln zu tun hat, radikal infrage gestellt.

Die Hilfsfunktion des Denkens konnte lange Zeit nicht erkannt werden, da geglaubt wurde, dass das Denken durch die Sprache konstituiert wird. Das Denken könne die Realität erkennen, weil sie selbst sprachlich strukturiert sei. Aus der evolutionären Sicht erscheint diese Auffassung als ein rationalistischer Irrtum. Es ist fraglich, ob das Denken überhaupt fähig ist, sich von der sinnlich erfahrbaren Realität abzulösen und metaphysische Probleme zu lösen.

3. Warum kann das Denken das Handeln beeinflussen?

Wenn davon ausgegangen wird, dass sich das Denken als Hilfsmittel des Handelns entwickelt hat, stellt sich die Frage, wie das Denken es fertig bringt, das Handeln zu beeinflussen. Diese Frage hat die Philosophen immer wieder herausgefordert, da sich das Denken in seinem Charakter erheblich von dem Handeln unterscheidet. Es stellte sich also die Frage, wie das als geistig begriffene Denken auf das materielle Handeln einwirken kann.

3.1. Vorstellungen

In der Philosophie herrschte lange Zeit die Überzeugung vor, dass das Denken mit inneren Vorstellungen arbeitet, die als Abbilder der Realität begriffen wurden. Es wurde angenommen, dass die Vorstellungen die Außenwelt repräsentieren. Unter dem Einfluss des Idealismus wurde angenommen, dass die Vorstellungen aus dem ewigen Reich der Ideen stammen.

Mit dem Konzept der Vorstellungen konnte nicht geklärt werden, ob die Vorstellungen wirklich der Realität entsprechen. Außerdem bliebt es offen, nach welchen Regeln die Vorstellungen miteinander verknüpft werden. Da die Vorstellungen als geistige Gebilde begriffen wurden, war die Kluft zwischen Denken und Handeln unüberbrückbar. Das löste die Suche nach alternativen Elementen des Denkens aus.

3.2. Rechenprozessse

Seit Erfindung der Computer wurde immer wieder versucht, das Denken nach dem Modell des Computers zu verstehen. Das Denken schien ein Prozess zu sein, in dem Informationen miteinander verrechnet werden. Schon lange Zeit hat dieses Modell an Faszination verloren, weil unübersehbar ist, dass das Gehirn nicht als eine gigantische Rechenmaschine begriffen werden kann. Dazu hat wesentlich die Auffassung beigetragen, dass sich das Gehirn als ein Organ entwickelt hat, um das Handeln flexibel zu organisieren. Das Ziel der Gehirntätigkeit sind optimal angepasste Handlungen. Das kann nicht durch innere Rechenprozesse allein erreicht werden, weil auch die spezifischen Bedingungen der Realität berücksichtigt werden müssen. Es ist zweifelhaft, ob die Organisation von Bewegungen überhaupt mathematisch abgebildet werden kann.

3.3. Nervenverschaltungen

Die Gehirnforschung verspricht seit langem, dass sie das Rätsel des Denkens lösen kann. Aber bislang stellt sie nur einige neue Begriffe – wie z.B. neuronale Zellen, Verschaltungen, Synapsen, mit dem Denken befasste Gehirnareale u.a. - zur Verfügung, mit denen die vermutlich am Denken beteiligten Gehirnprozesse beschrieben werden können. Für das Verständnis des Denkens ist das ein gewisser Gewinn, weil offensichtlich geistige Prozesse im Gehirn eine materielle Gestalt annehmen und damit etwas verständlicher wird, warum geistige Prozesse auf das materielle Handeln einwirken können. Aber der Gewinn ist relativ gering, weil ungelöst bleibt, wie sich die geistigen Prozesse in neuronalen Verschaltungen materialisieren.

Die Hirnforschung hat bisher wenig zum Verständnis des Denkens beigetragen, weil ihr offensichtlich der inhaltliche Aspekt des Denkens verschlossen bleibt. Sie kann nichts dazu beitragen, warum in diesem Moment gerade ein bestimmter Gedanke gedacht wird. Es ist fraglich, ob Gehirnscanner jemals die Gedanken inhaltlich lesen können. Das würde voraussetzen, dass gleichzeitig die frühere Kommunikation des Gehirns mit der Umwelt mitberücksichtigt wird. Aber dies wirft große methodische Probleme auf. Selbst wenn dies möglich wäre, bliebe das Problem, dass dieses Wissen für das praktische Denken irrelevant ist. Von Theorien des Denkens wird erwartet, dass sie helfen, besser zu denken.

Eine wichtige Entdeckung der Hirnforschung im Hinblick auf das Denken war sicherlich, dass bei der Wahrnehmung und Planung von Handlungen die gleichen Gehirnareale aktiv sind, als wenn diese Handlungen ausgeführt werden. Das spricht dafür, dass sich Denken und Ausführen von Handlungen wenig unterscheiden. Dies unterstützt die im Titel dieses Aufsatzes aufgestellte These, das das Denken ein Handeln ist.

3.4. Energetische Schwingungen

Die Quantenphysik hat dazu angeregt, das Denken aus der physikalischen Sicht neu zu interpretieren. → [1] Aus der Quantentheorie wurde abgeleitet, dass es offensichtlich immaterielle Kräfte gibt. Gedanken können jetzt als hochfrequente immaterielle Schwingungen verstanden werden, die auf die materielle Welt Einfluss nehmen können, da diese letztlich auch nur aus Schwingungen bestehen. Diese Sichtweise scheint die idealistische Auffassung des Denkens als einem immateriellen Phänomen zu bestätigen. Die Vertreter der Energietheorie des Denkens verweisen gern auf das Phänomen des Placebos, bei denen offensichtlich mit der reinen Kraft des Denkens materielle Wirkungen erzielt werden können.

Allerdings ist damit für das Verständnis des Denkens wenig gewonnen. Für das praktische Handeln ist es irrelevant, dass das Denken aus Energie besteht. Es widerspricht der konkreten Erfahrung, dass sich das Denken anders anfühlt und sich in der Regel als ohnmächtig erweist. Positives Wunschdenken hat noch nie etwas bewirkt. Die Placebos wirken nur dann, wenn man gerade nicht weiß, dass das Mittel nur aus Milchzucker besteht. Placebos wirken nach allen bisherigen Erfahrungen nur dann, wenn die Umstände bei der Verabreichung der Placebos das Vertrauen wecken, dass eine Heilung möglich ist. Aber diese emotionalen Nebeneffekte sind schwer zu erfassen. Kritisch ist festzuhalten, dass die Energietheorie des Denkens zu einer irrealen Überschätzung des Denkens führt.

Die Energietheorie des Denkens vernachlässigt, dass das Denken nicht aus sich heraus denken kann, sondern auf Bausteine aus der Realität angewiesen ist, mit denen es seine Denkgebäude erstellen kann. Im Idealismus glaubte man, dass die Bausteine aus dem Himmel der ewigen Ideen stammen. Die Energietheorie hat lediglich die Ideen durch energetische Schwingungen ersetzt.



Keine dieser vier Theorien kann den Übergang vom Denken zum Handeln plausibel erklären. Alle Theorien arbeiten mit Analogien. Da das Denken nicht direkt beobachtet werden kann, müssen andere Erfahrungsbereiche herangezogen und das Denken aus dieser Perspektive betrachtet werden. Es wird aber nie gefragt, ob die Analogie von der Sache her berechtigt ist.

Es muss vermutet werden, dass das Denken bisher völlig falsch verstanden wurde. Wenn man davon ausgehen könnte, dass das Denken selbst ein Handeln ist, das in der Vorstellung oder im Unbewussten abläuft, wäre die Kluft mit einem Schlag beseitigt.

4. Denken ist virtuelles Handeln

Wie kann plausibel gemacht werden, dass das Denken letztlich nur ein Handeln in der Vorstellung ist?

Zu Recht sagt man, dass ein Affe denkt, wenn er z.B. versucht, sich mit einem Stock eine Banane zu angeln, die er mit seinen Händen nicht erreichen kann. Natürlich denkt er nicht: »Jetzt versuche ich es mal mit dem Stock«, sondern es stellt sich bei ihm ein entsprechender Handlungsimpuls ein. Vermutlich läuft bei den Menschen das Denken ähnlich ab.

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Menschen praktische Probleme lösen, wird sofort deutlich, dass stets mögliche Lösungen durchs Handeln ausprobiert werden. Wenn ein Lösungsweg nicht funktioniert, drängt sich meist ein anderer auf. Häufig fällt einem erst nach einiger Zeit eine mögliche Lösung ein, wenn man gerade mit etwas anderem beschäftigt ist. Offensichtlich beschäftigt sich das Gehirn unbewusst weiterhin mit dem Problem, bis es eine neue Lösung findet. Das Ergebnis ist nicht ein Gedanke, sondern ein Impuls, wie das Problem handelnd gelöst werden könnte. Wie das Gehirn zu dem Lösungsvorschlag gekommen ist, bleibt im Dunkeln. Auf jeden Fall ist es nicht das Ergebnis von bewusstem Denken.

Im Grunde geht das naturwissenschaftliche Denken nicht anders vor. Ein Problem kann nie allein durch das Denken gelöst werden. Ob eine Lösungsidee funktioniert, muss sich in der praktischen Erprobung erweisen. Es können verschiedene Experimente ausgedacht werden, wie eine Vermutung bestätigt werden kann. Entscheidend ist, dass brauchbare Lösungen experimentelles Handeln voraussetzen.

Wenn man z.B. klären will, warum Kokosöl den Heilungsprozess von grippalen Entzündungen beschleunigt, kommt man nicht umhin zu prüfen, ob im Kokosöl Inhaltsstoffe sind, die eine antibakterielle und antivirale Wirkung haben. Mit Denken allein ist das Problem nicht zu lösen, es sei, dass man aus früheren Experimenten bereits weiß, dass das Öl entzündungshemmende Stoffe enthält.

Allerdings scheint das philosophische und abstrakte Denken anders abzulaufen als das praktisch orientierte Denken. Das Nachdenken über die Willensfreiheit scheint überhaupt nichts mit einem Handeln in der Vorstellung zu tun zu haben. Das trifft nicht zu. Wenn man prüfen will, ob der eigene Wille frei ist, muss man sich vorstellen, dass man in einer identischen Situation unterschiedliche Wünsche bildet. Man muss sich vorstellen, dass sich der Wille für unterschiedliche Wünsche entscheidet. In meinem Buch wird die Hypothese begründet, dass man beim Denken über abstrakte Begriffe wie Wahrheit, Bewusstsein oder Ich gar nicht anders kann, als die Begriffe wie handelnde Personen aufzufassen. So muss man sich das Bewusstsein als eine Person vorstellen, die bestimmte Fähigkeiten hat und dementsprechend bestimmte Wirkungen erzielen kann.

Auch beim abstrakten Denken muss man Bewegungen im Raum zur Hilfe nehmen. So muss man bei mathematischen Operationen die Zahlenreihe hinauf- oder hinunterschreiten. Wenn das Rechnen routiniert ablauft, tritt dieses Hilfsmittel in den Hintergrund und ist nicht mehr bewusst.

Das alte Dogma, dass das Denken eine zweckfreie autonome Aktivität ist, widerspricht offensichtlich den eigenen Erfahrungen. Um das Denken besser zu verstehen, ist es ratsam, die Hypothese zu überprüfen, dass das Denken im Grunde ein virtuelles Handeln ist, ein Probehandeln, wie es Sigmund Freud ausgedrückt hatte. Es geht darum, die gängigen Annahmen über das Denken aufzugeben, um prüfen zu können, ob die vorgeschlagene Sichtweise zu einem besseren Verständnis führen kann.

5. Theorie der Muster

Aus dieser Perspektive kann das Denken als ein Zwischenschritt im Lernprozess des Handelns begriffen werden. Mit jedem Handeln, das von der Routine abweicht, sind meist kleinere und größere Erfahrungen verbunden. Sie werden vom Denken benutzt, um das nächste Handeln effizienter zu machen. Ohne den Handlungskreis von Denken und Handeln hätte die Menschen kein einziges Kulturgut vom Tonkrug über die Dampfmaschine bis zum Computer entwickeln können.

Die Frage ist, ob und wie die Erfahrungen verarbeitet werden. Wenn z.B. ein Kind mit einem Stock spielt, wird es entdecken, dass man ihn für mehrere Zwecke benutzen kann. Es kann damit schlagen, stochern, etwas heranholen, werfen u.a. Es kann z.B. wie ein Affe auch entdecken, dass damit Dinge herbeigezogen werden können, an die man mit den bloßen Händen nicht hin gelangt. Es lernt die verschiedenen Funktionen, wie der Stock benutzt werden kann. Das kann damit erklärt werden, dass für jede Bewegung, die mit dem Stock ausgeführt werden kann, ein Muster gebildet wird. Sobald ein ähnliches Problem auftaucht, wird spontan das dafür geeignete Muster aktiviert. Erfahrungen verarbeiten heißt also, Muster zu bilden.

Auch für Gegenstände werden Muster gebildet. So bilden z. B. Kinder ein Muster für Tische. Das Muster des Tischs besteht aus den Funktionen, die es damit verbindet: sitzen, essen und spielen. Gegenstände, die anders als der gewohnte Tisch in der eigenen Wohnung aussehen, auf denen aber Teller mit Speisen stehen, werden spontan als Tische erkannt. Auf diese Weise wird für alle Gegenstände ein Muster gebildet. Die Muster enthalten primär die Funktionen der Gegenstände. Deren Eigenschaften spielen nur eine untergeordnete Rolle. Je mehr ähnliche Gegenstände wahrgenommen werden, umso abstrakter wird das Muster, d.h. treten die konkreten Eigenschaften in den Hintergrund.

Bald kann sich das Kind vorstellen, mit einem Stock einen Teller von dem Tisch herabzustoßen. Es verknüpft in der Vorstellung das Muster des Stockes mit den Mustern von Tisch und Teller. Wenn es die Mutter ärgern will, kann es diesen Gedanken zunächst durchspielen und dann auch ausführen.

Daraus entwickelt sich die Hypothese, dass die Bausteine des Denkens Muster sind. Die Muster sind keine visuellen Abbilder der Realität, sondern enthalten die Funktionen der Gegenstände und Bewegungen, auf die sie sich beziehen. Da die Muster relativ abstrakt und auf das Handeln bezogen sind, können sie ohne weiteres miteinander verknüpft werden. Die Muster machen es möglich, eine Bewegung zunächst nur in der Vorstellung auszuprobieren.

Von zentraler Bedeutung ist, dass die Muster spontan gebildet werden. Mit dem Mustern werden differenzierte Bewegungsfähigkeiten gelernt. Was in die Muster eingeht, kann nicht willkürlich bestimmt werden, sondern ergibt sich aus der Erfahrung, welche Wirkungen mit bestimmten Bewegungen erreicht werden können. Je vielfältiger und differenzierter die Muster sind, umso potenter ist das probeweise Handeln. Man kann sich nur Vorstellungen machen, worüber man Muster besitzt. Das Kind kann sich z.B. keine Vorstellungen über die Seele machen, weil es dafür kein Muster aus der Anschauung bilden kann.

Mit dem Konzept der Muster kann das bisher ungelöste Problem, nach welchen Regeln die einzelnen Bausteine des Denkens miteinander verknüpft werden, damit beantwortet werden, dass sich die Verknüpfungsregeln direkt aus der Erfahrung ergeben oder dass dafür spezielle Muster verwendet werden, die aus dem Handeln abgeleitet wurden. So wurde z.B. für die Erklärung des Bewusstseins das Muster verwendet, dass alle Aktivitäten von einem personalem Akteur ausgehen. Dementsprechend wurde das Bewusstsein wie eine handelnde Person behandelt, die bestimmte Fähigkeiten hat. Auch die Kausalität ist ein solches Hilfsmuster. → [2]

Es ist hervorzuheben, dass die Muster einen merkwürdigen Status haben. Sie sind weder etwas rein Geistiges noch etwas rein Körperliches. Da sie Bewegungen organisieren, haben sie einen gewissen kognitiven Charakter. Zugleich haben sie eine körperliche Seite, da sie Bestandteil von Bewegungen sind. Sie können relativ abstrakt sein, ohne deshalb etwas Geistiges zu sein. Offensichtlich fällt es schwer, sie mit dem traditionellen Dualismus von Körper und Geist zu erfassen. Aus der Sicht der Muster können die Ideen von Platon und die Formen von Aristoteles als Interpretationen der Muster verstanden werden. → [3]

Natürlich gründet der Begriff des Musters letztlich auch auf einer Metapher. Er hat allerdings den Vorteil, dass mit ihnen das Denken als Bestandteil des Handelns begriffen werden kann. Damit ist die Theorie der Muster mit der Evolutionstheorie vereinbar.

6. Denken ohne Sprache

Die Muster haben zunächst nichts mit Sprache zu tun. Das kleine Kind, dass das Sprechen noch nicht beherrscht, denkt ausschließlich mit Mustern. Später lernt es, dass die Eltern für bestimmte Muster Begriffe verwenden. Es lernt, dass zu den Mustern bestimmte Begriffe gehören. Wenn es einen Begriff hört, denkt es sofort an eine bestimmte Aktivität oder an einen bestimmten Gegenstand. Wenn es von bestimmten Aktivitäten erzählen will, kann es die Begriffe verwenden. Es versteht Erzählungen seiner Eltern, weil es die Funktionen kennt, die in den Begriffen anklingen.

Da die Menschen soziale Wesen sind, werden alle Gedanken immer sofort in der Sprache ausgedrückt. Dadurch konnte der Eindruck entstehen, als würde man mit Hilfe der Sprache denken. Dies erweist sich als ein kapitaler Irrtum. Alle Gedanken sind zunächst nur Verknüpfungen von Mustern. Erst wenn die Gedanken anderen mitgeteilt werden sollen, werden sie in das Medium der Sprache transformiert. Das gelingt relativ leicht, weil zwischen Mustern und Begriffen eine feste Verbindung gelernt wurde.

Ein Sonderfall ist das Denken mit philosophischen Allgemeinbegriffen wie Vernunft, Wahrheit, Moral, Person oder Gerechtigkeit. Diese Begriffe unterscheiden sich von Begriffen, die für sinnlich wahrnehmbare Gegenstände oder Bewegungen gebildet werden dadurch, dass ihnen keine eindeutigen Muster zugrundeliegen. Diese Begriffe sind regelmäßig aus Verben abgeleitet worden, beanspruchen aber als Substantive, dass sie sich auf einen bestimmten Gegenstandsbereich beziehen, der aber nicht klar sinnlich abgegrenzt werden kann. Als Kunstbegriffe kann deshalb ihre Bedeutung nur willkürlich mit Hilfe von Analogien und Metaphern festgelegt werden. Deshalb hat z.B. fast jeder Philosoph seinen eigenen Begriff von Vernunft und sind in der Philosophiegeschichte ständig neue Versionen über das Verhältnis von Körper und Geist entstanden. Denn mit Begriffen ohne Muster kann nicht klar und eindeutig gedacht werden. Die damit artikulierten Gedanken lassen sich nicht überprüfen. Es sind bloß Erzählungen aus dem Reich der philosophischen Begriffe.

7. Die Selbstorganisation des Denkens

In der Geschichte der Philosophie wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass das Denken nicht immer logisch, sukzessive und bewusst abläuft. Tatsächlich kann man erfahren, dass sich die besten Gedanken intuitiv einstellen, ohne dass angegeben werden kann, wie sie zustande gekommen sind.

Wenn das Handeln auf Probleme stößt, setzt spontane eine Suche nach alternativen Lösungen ein. Das Problem wird von allen Seiten betrachtet, bis einem ein besseres Muster einfällt. Es fällt auf, dass man nicht systematisch und bewusst alle möglichen Alternativen durchgeht, sondern dass nach einer sorgfältigen Analyse die Ideen von selbst kommen. Bewusst ist nur die Analyse, was das Handeln behindert hat. Die Lösungsvorschläge kommen intuitiv.

Daraus kann die Hypothese abgeleitet, dass das Denken ausschließlich im Unbewussten abläuft. Das Bewusstsein kommt erst ins Spiel, wenn die fertigen Gedanken in sprachliche Gestalt übersetzt werden. Das bedeutet, dass der traditionelle Glaube, dass man sich bewusst für seine Gedanken entscheidet und dass man sie selbständig gestaltet, falsch ist. Die Gedanken folgen ihren eigenen Logik. Ausschlaggebend ist, über welche Muster man verfügt. Da die Muster aus den eigenen persönlichen Erfahrungen stammen, identifiziert man sich spontan mit den Gedanken, die im Bewusstsein auftauchen.

Obwohl man keinen Einfluss auf seine Gedanken nehmen kann, ist man trotzdem für sie verantwortlich. Denn in ihnen spiegelt sich die eigene Lebensgeschichte, für die man sich mehr oder weniger bewusst entschieden hat.

Damit erledigt sich die traditionelle Frage, wer eigentlich denkt - der Geist, das Ich oder die Seele. Diese Frage ist falsch gestellt. Es lässt sich nicht mehr sagen, als dass das Denken ein Ausdruck der Fähigkeit ist, Probleme mit kreativem Handeln zu lösen. Der Begriff der Selbstorganisation drückt die Einsicht aus, dass es dem menschlichen Denken verwehrt ist, die Bedingungen seiner Möglichkeit aufzudecken.

8. Die Macht des Denkens

Das Denken kann kreativ sein, weil es auf alle akkumulierten Muster zurückgreifen kann. Häufig werden auch Muster herangezogen, die auf den ersten Blick mit dem Problem nichts zu tun haben. Denn durch die Übertragung von Mustern aus anderen Erfahrungsbereichen können kreative Lösungen gefunden werden. Es gelingt umso besser, je mehr die Muster aufgrund vielfältiger Erfahrungen eine abstrakte Gestalt angenommen haben.

Voraussetzung für kreative Gedanken ist, dass das Denken mit einem Problem konfrontiert wird. Neue Gedanken kommen nicht aus dem heiteren Himmel, sondern werden von der Erfahrung angestoßen, dass bisherige Problemlösungsvorschläge als unbefriedigend erlebt werden. Da die Neigung sehr stark ist, sich an alles anzupassen, kommt es relativ selten zu kreativen Sprüngen.

Die Macht des Denkens gründet in der Kraft des Handelns. Wenn das Handeln blockiert wird, wird das Denken unproduktiv. Das Denken kann sich nicht aus eigener Kraft aus einschränkenden Denkgewohnheiten befreien. Dass kann nur gelingen, wenn anders gehandelt wird. So kann der Sinn des Lebens nicht denkend gefunden werden. Die Frage nach dem Sinn des Lebens erledigt sich, wenn es gelingt, die Ängste zu bewältigen, die sich in den Beziehungen zu anderen Menschen und zur Welt ausdrücken.

9. Fazit

Der Versuch, das Denken mit den traditionellen Begriffen wie Körper, Vernunft, Ich, Geist u.Ä. zu begreifen, muss scheitern. Diese metaphysischen Begriffe haben bewirkt, dass das Denken vom Handeln abgekoppelt wird. Das Denken kann nur aus der handelnden Interaktion mit der Realität begriffen werden.

Das Denken kann auf das Handeln einwirken, weil es selbst ein virtuelles Handeln ist. Da die Bausteine des Denkens, die Muster, unbewusst gebildet wurden, können sie auch unbewusst miteinander verknüpft werden. Als Bestandteil des Handelns darf das Denken nicht verabsolutiert werden.

Das Denken kann am Besten dadurch gefördert werden, dass man vielfältige geistige, künstlerische und handwerkliche Aktivitäten pflegt und bei allen Problemen nicht zögert, eine passende Lösung zu finden.

Die Mustertheorie des Denkens stellt ein neues Paradigma dar, das mit allen bisherigen Erklärungsansätzen des Denkens bricht. Sie ergibt sich aus dem Versuch, das Denken konsequent als einen körperlichen Vorgang zu begreifen.

1 Knapp,Natalie: Der Quantensprung des Denkens. Was wir von der modernen Physik lernen können, Reinbek bei Hamburg 2013 2 Vgl. Neubeck, Klaus: Wie Denken funktioniert, München 2017 3 Aristoteles bestätigt die Mustertheorie des Denkens, da er davon ausgeht, dass sich die Begriffe auf die Funktion der Gegenstände beziehen. Vgl. Arbogast Schmitt: Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung? Eine Kritik aus aristotelischer Sicht, Heidelberg 2016