Philosophie der Muster    Meine Entwicklung

Von der Philosophie des Atems zur Philosophie der Muster

Was mein Interesse an der Philosophie geweckt hat und wie ich es wieder verloren habe

1. Kann das Denken mit Hilfe des Atems entschlüsselt werden?

Mein Interesse an der Philosophie erwuchs aus der Frage, warum die erstaunliche Tatsache, dass sowohl der Begriff des Geistes als auch der Begriff der Seele auf den Begriff des Atems zurückgehen, von der Philosophie nicht zum Thema gemacht wurde. Liegt das an der Glorifizierung des Geistes und der Geringschätzung des Körpers in der abendländischen Philosophie? Kann mit Hilfe des Atems geklärt werden, wie das Denken im Körper verwurzelt ist und Körper und Geist zusammenhängen. Haben die alten mythologischen Vorstellungen, dass das Denken im Atem wurzelt, einen rationalen Kern? Aus diesen Fragen entstand das Projekt der Atemphilosophie. In meinen Büchern Atem-Ich, Psychosomatik des Atems und Atem und Glück habe ich dargestellt, das der Atem ein Schlüsselfaktor bei vielen geistigen, psychischen und körperlichen Problemen ist. Ich habe versucht, dem verbreiteten esoterischen Denken mit seiner Mystifizierung des Atems eine rationale Theorie des Atems entgegenzusetzen.

Allerdings konnte die Hypothese, dass das Denken mit Hilfe des Atems geklärt werden kann, nicht verifiziert werden. Die mythologische Vorstellung, dass sich das Denken dem Atem verdankt, erwies sich als unhaltbar. Der Atem kann bloß als physiologische Voraussetzung für das Denken, Fühlen und Sprechen betrachtet werden. Die inhaltliche Seite des Denkens kann damit nicht erklärt werden. Allerdings erwies sich die Beschäftigung mit dem Atem als ein guter Leitfaden, um zur Erkenntnis der körperlichen Verankerung psychischer und mentaler Prozesse zu gelangen. Das offensichtliche Versagen der Philosophie, das Verhältnis von Körper und Geist zu erklären, motivierte mich, nach anderen Ansätzen zu suchen.

2. Entdeckung der Schlüsselrolle der Gewohnheiten

Für die meisten Philosophen steht es fest, dass die Menschen rational und selbstbestimmt handeln können. Das ergibt sich zwingend aus der Grundannahme, dass die Menschen geistige Wesen sind. Zweifel an dieser Auffassung kamen weniger von Philosophen als von Psychologen. Wenn man das Denken, Fühlen und Handeln unvoreingenommen beobachtet, fällt auf, wie sehr alle Prozesse gewohnheitsmäßig ablaufen. Das gilt nicht bloß für das Handeln und Fühlen, sondern auch für das Denken und Sprechen. So wäre das Sprechen ohne die Gewohnheitsbildung völlig unvorstellbar. Das hängt damit zusammen, dass letztlich auch das Sprechen ein Handeln ist. Daraus ergibt sich die Hypothese, dass das komplexe Zusammenwirken aller Teile eines Organismus nur auf der Basis von Gewohnheiten möglich ist.

Das bedeutet nicht, dass alle Handlungen determiniert sind, sondern dass das Handeln durch frühere Prägungen und die jeweilige Situation festgelegt wird. Wenn man das Gefühl hat, dass der spontan entstandene Handlungsimpuls richtig ist, identifiziert man sich mit ihm.

Bei der Beschäftigung mit den Gewohnheiten in meinem Buch Geliebte Fesseln stellte sich die Hypothese ein, dass allen Formen des Handelns Regeln zugrunde liegen. Die Besonderheit der Regeln besteht darin, dass sie nicht bewusst gesetzt werden, sondern ein Teil der natürlichen Organisation des Lebens sind. Wenn die Menschen ihr Leben nach bewusst gesetzten Regeln organisieren, nutzen sie bloß die Fähigkeit der Natur, Regeln zu bilden. Wenn mehrere Regeln zusammenwirken, entstehen Muster. Allen Gegenständen und Prozessen liegen Muster zugrunde. Diese Muster strukturieren die Wahrnehmung. So werden z.B. menschliche Gesichter auf die Weise erkannt, dass das Muster des Gesichts erkannt wird.

3. Entdeckung eines neuen Paradigmas für das Denken

Bisher ist die Frage unbeantwortet geblieben, mit welchen Einheiten das Denken arbeitet. Sind es Vorstellungen, Ideen, Begriffe, Konzepte, Bilder? Es drängte sich mir die Idee auf, das die Bausteine des Denkens spontan gebildete Muster sind. Warum sollen die Muster, die beim Handeln wirksam sind, nicht auch für das Denken gelten? Plötzlich lösten sich alle Probleme des Denkens. Es lässt sich jetzt relativ leicht erklären, warum das Danken überwiegend unbewusst abläuft und wie intuitive Gedanken möglich sind. Vor allem kann endlich die alte Streitfrage beantwortet werden, ob das Denken auf die Sprache angewiesen ist oder nicht. Ebenso wird jetzt deutlich, worin die Einzigartigkeit des menschlichen Denkens begründet ist. Die Leitidee, dass das Denken ein virtuelles Handeln ist, erwies sich als äußerst fruchtbar.

Die Mustertheorie des Denkens wurde in meinem Buch »Die Intelligenz der Regeln« in den Grundzügen entwickelt und wird in meinen in Bearbeitung befindlichen Buch »Zu den Scheinproblemen der Philosophie« (Arbeitstitel) ausführlich entfaltet.

4. Nach welchen Prinzipien läuft das Denken ab?

Wenn Denken ein virtuelles Handeln bzw. ein Probehandeln ist, muss man davon ausgehen, dass sich die Prinzipien, nach denen das Handeln abläuft, aus dem Handeln ergeben. Die Muster des Denkens sind Muster des Handelns, wie Jean Piaget erkannt hatte. Alle Begriffe erhalten ihre Bedeutungen von den Mustern, auf die sich beziehen. Abstrakte Allgemeinbegriffe wie Geist, Bewusstsein oder Natur stören das Denken, weil sie sich nicht auf spontan gebildete Muster beziehen, sondern ihnen künstlich gebildete Muster zugewiesen werden müssen. Es wird deutlich, dass die Philosophie das Denken nicht verstehen kann, weil es das Denken als autonom und eigenmächtig betrachtet und das Verhältnis des Denkens zum Handeln vernachlässigt hat. Das traditionelle Menschenbild vom Menschen als geistiges Wesen muss ersetzt werden durch die Auffassung, dass die Menschen handelnde Wesen sind, die extrem stark von ihrer natürlichen Umwelt abhängig sind.

5. Wo liegen die Grenzen des Denkens?

Die Überzeugung der traditionellen Philosophie von der Allmacht des Denkens muss radikal infrage gestellt werden. Aus der Mustertheorie des Denkens folgt, dass der Anspruch der Philosophie auf objektive Wahrheit unhaltbar ist. Die Menschen können nur das erkennen, was sie herstellen können, wie bereits Vico erkannt hatte. Das bedeutet, dass alle Gedanken, die nicht handelnd überprüft werden können, leere Spekulationen sind. Alle philosophischen Antworten auf die großen philosophischen Fragen sind bloß subjektive Aussagen. Sie können zwar verallgemeinert werden, aber es darf nicht vergessen werden, dass sie nicht intersubjektiv mit Experimenten überprüft werden können. Philosophische Gedanken dürfen nur als Anregungen für das eigene Handeln benutzt werden. Nur Gedanken, die aus den Erfahrungen beim eigenen Handeln entstanden sind, können das Handeln orientieren. Das Denken kann niemals das Handeln ersetzen.

6. Das Verhältnis von Körper und Geist ist ein Scheinproblem

Das Körper-Geist-Problem kann nicht mit verbalen Beschwörungen ihrer Einheit gelöst werden. Aus sprachkritischer Sicht ist das Problem unlösbar, weil es sich bei beiden Begriffen um abstrakte Allgemeinbegriffe handelt, denen nichts in der Realität entspricht. Es sind bloß mentale Konstruktionen, die nicht auf erfahrenen Mustern basieren. Wenn das Denken als virtuelles Handeln aufgefasst wird, stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist. Die Frage, wie die Einzigartigkeit des menschlichen Denkens erklärt werden kann, kann nur aus der Sicht de Evolution der Menschen beantwortet werden.

7. Mythos Philosophie?

Der Anspruch der antiken Philosophie, das praktische Handeln anzuleiten, hat sich als Irrtum herausgestellt. Es ist nicht zufällig, dass er von der zeitgenössischen Philosophie nicht mehr verfolgt wird. Aus der Perspektive des menschlichen Handelns sind die zentralen Fragen der Philosophie Scheinfragen. Der Philosophie scheint nur noch die Aufgabe zu bleiben, überkommene Gedanken kritisch daraufhin zu überprüfen, ob mit ihnen dem Handeln eine bessere Orientierung gegeben werden kann. Sie kann den Menschen nicht das Denken abnehmen. Wer sich von der Philosophie Lösungen seiner Probleme erwartet, verhält sich wie der Gläubige, der meint, dass die Götter ihm helfen könnten. Er verkennt, dass er damit seine Handlungsfähigkeit aufgibt und sich erst recht hilfsbedürftig macht.

8. Mein Verhältnis zur Philosophie

Im ursprünglichen Projekt der Atemphilosophie ging ich implizit von der Annahme aus, das meine Gedanken einen Beitrag zur Philosophie darstellen könnten. In der Konsequenz meiner Gedanken kam ich dazu, das Projekt Atemphilosophie aufzugeben und meine Identifikation mit der Philosophie zu reduzieren. Mein Leitsatz lautet seitdem: Denken, nicht philosophieren!