Philosophie der Muster    Buch "Atem-Ich"


Atem-Ich

Im ersten Buch habe ich meine Entdeckung dargestellt, dass der Atem ein Schlüsselfaktor bei vielen psychischen und körperlichen Problemen zu sein scheint. Es ist auffällig, dass immer dann der Atem auftaucht, wenn versucht wird, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Immer mehr Psychotherapeuten und Mediziner erkennen die Bedeutung des Atems bzw. der Atemerfahrungen bei der Entstehung und Heilung von Krankheiten. Mein Ziel war, eine rationale Atemtheorie zu entwickeln, die ohne esoterische Begriffe und Theorien auskommt. Dazu muss die verhängnisvolle Trennung von Körper und Geist, die sich als Folge der kulturellen Verdrängung des Atems erweist, überwunden werden.

Stroemfeld-Verlag Frankfurt/Main 1992, Neuauflage 2013.

Mehr Informationen zum Buch erhalten Sie über die folgenden Schaltflächen und im danach folgenden Text.

Inhaltsverzeichnis im Buch lesen

Kurzdarstellung

Es ist schon sehr merkwürdig, dass man den Atem entdecken muss, obwohl er doch das Selbstverständlichste zu sein scheint, das es gibt. da er doch dem Körper während des ganzen Wachseins einen unübersehbaren Rhythmus aufzwingt. Es ist kaum jemandem bewusst, dass der Atem individuell und kollektiv vergessen wurde. Das rührt daher, dass der Atem in der abendländischen Kultur im Gegensatz zu den orientalischen Kulturen völlig in den Hintergrund gedrängt wurde und nur noch als medizinisches Problem wahrgenommen wird, wenn sich Störungen in der Atmung geräuschvoll kundtun.

Dass das Vergessen des Atems nichts Selbstverständliches ist, zeigen viele Mythologien alter Kulturen, in denen der Atem einen zentralen Stellenwert im Welt- und Selbstverständnis einnahm. Auch im Alten Testament hat Adam sein Leben vom göttlichen Atem erhalten. Wenn später in der antiken Philosophie von der Seele die Rede war, war letztlich stets der Atem gemeint. Denn die sprachlichen Wurzeln des Seelenbegriffs gehen stets auf den Atem zurück. Im Qigong und Yoga sind die alten Atemtraditionen heute noch lebendig.

In Europa hat die Wiederentdeckung des Atems vor etwa 100 Jahren begonnen, als Sänger die Entdeckung machten, dass Stimmprobleme mit Atemübungen gelöst werden können. Bald haben auch Tänzerinnen und Therapeuten die Bedeutung des bewussten Atems für gelungene Bewegungen erkannt. Auch Ärzte haben die heilende Kraft des Atems erfahren und Atemübungen als Therapie eingesetzt. Seit mehr als 50 Jahren hat sich die Atemtherapie als Teil der Psychotherapie etabliert. Auch die Sportler haben in den letzten Jahren die leistungssteigernde Kraft des Atems entdeckt.

Aber dennoch ist das allgemeine Bewusstsein über die Bedeutung des Atems immer noch ein zartes Pflänzlein geblieben. Das liegt sicherlich an der Dominanz des naturwissenschaftlich-mechanistischen Körperver­ständ­nisses, in dem der Atem entweder als ein rein physiologischer Vorgang oder als ein überholtes mythologisches Konzept angesehen wird.

Persönlich habe ich den Atem entdeckt, als ich auf der Suche war, wie ich mich mit Augenübungen von der Brille befreien kann. Der Hinweis in einem Buch, dass reine Augenübungen mit Atemübungen unterstützt werden sollten, um die Sauerstoffversorgung der Augen zu verbessern, hat mich neugierig gemacht. Aufgrund meiner soziologischen und philosophischen Ausbildung wurde mir bald klar, dass das Atemthema in alle Lebens­be­reiche hineinstrahlt und dass man Probleme wie z.B. Entspannung, Liebe, oder Sexualität viel besser am Leitfaden des Atems verstehen kann, weil sie dadurch in Verbindung mit dem Zustand des ganzen Körpers gebracht werden können.

Der Atem als Verbindungsglied zwischen »Körper« und »Seele«?

Von alters her wurde dem Atem eine Zwischenstellung zwischen den verschiedenen Lebensbereichen zugesprochen: zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten, zwischen der Einzelseele und der Weltseele, zwischen dem Körperlichen und dem Seelischen, zwischen dem Irdischen und der Transzendenz. Der Atem schien so als die Nahtstelle zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen zu sein. Deshalb galt der Atem auch als das Tor zum Göttlichen.

Als Soziologe drängte sich mir der Verdacht auf, dass solche Atem­kon­zepte noch dem mythologischen Denken verhaftet sind und deshalb einer breiten Wiederentdeckung des Atems im Wege stehen. Meine Gegenthese ist, dass die zentrale Bedeutung des Atems daraus abzuleiten ist, dass der Atem das Medium für den emotionalen Kontakt und für die sprachliche Kommunikation ist. Schließlich macht der Atem das Fühlen und Denken überhaupt erst möglich und bestimmt die Atemdynamik die Qualität des Denkens und Fühlens. Der Atem als Vermittler des zwischenmenschlichen Kontaktes schien mir der Kern der alten Atemmythologien zu sein, der nur durch die religiösen Interpretationen des Atems verdeckt wurde. Deshalb steht es heute an, den Atem als Medium des Kontakts wieder neu zu entdecken.

Der Atem als Medium des Kontaktes

Am Atem wurde immer schon beobachtet, dass sich darin alle Erfahrungen spiegeln. Sowohl emotionale Erfahrungen wie Trauer, Freude, Liebe, Angst, Wut u.a. als auch geistige Erfahrungen wie Intuitionen oder Überraschungen drücken sich im Atem aus. Wenn der Atem gelöst und befreit ist, gelingt der Kontakt mühelos; wenn er dagegen reduziert und blockiert ist, zieht man sich aus dem Kontakt zurück.

Meine These ist, dass der Atem nicht bloß Erfahrungen spiegelt, sondern dass er den Kontakt überhaupt erst ermöglicht. Dass hängt damit zusammen, dass jeder Kontakt durch Emotionen hergestellt wird und dass die Emotionen als Ausdrucksformen des Atems begriffen werden müssen. Die Neurologin Susana Bloch hat nachgewiesen, dass die verschiedenen Emotionen sich dadurch unterscheiden, dass sie eine spezifische Atemdynamik haben. Daraus ergibt sich ein neues Verständnis der Emotionen, da sie jetzt nicht nur im Gehirn, sondern auch in der gesamten Physiologie verankert werden können. Es wird deutlich, warum das Herz, der Bauch oder das Zwerchfell als Sitz der Gefühle angesehen werden konnten und warum spontan mit Hilfe der Emotionen Probleme im Kontakt mit anderen Menschen gelöst werden. Es wird auch deutlich, dass die Theorie der Neuropeptide für das emotionale Leben nur eine beschränkte Aussagekraft hat. (ausführlicher im Aufsatz Heilkraft der Liebe )

Warum Atem-Ich?

Der Buchtitel enthält das Programm, dass psychisch-mentale Größen wie das Ich, die Seele, der Geist u. A. mit der Atemdynamik in Verbindung gebracht werden müssen, um sie angemessen verstehen zu können. Wenn die Begriffe Seele und Geist aus dem Begriff Atem hervorgegangen sind, dann muss die Erinnerung an die Begriffsgeschichte in den Begriffen aufgehoben werden. Es geht nicht darum, alles aus dem Atem abzuleiten oder auf den Atem zu reduzieren, sondern ein Verständnis dafür herzustellen, wie psychische Prozesse in den Atemprozess eingebunden sind und wie die Atemdynamik auf psychische Prozesse zurückwirkt. Es kann deutlich gemacht werden, dass alle psychischen Probleme am Leitfaden des Atems besser verstanden werden können und dass die Trennung von Körper und Geist die Folge eines kulturellen Verdrängungs­prozesses ist, der rückgängig gemacht werden muss.

Gesellschaftliches Leid

Das Leiden des Einzelnen ist nie nur individuell, sondern immer auf komplizierte Weise mit der gesamten Kultur verbunden. Das zeigt sich z.B. daran, wie mit kleinen Gesundheitsstörungen umgangen wird. Heute werden sie im Allgemeinen mit Medikamenten behandelt. Es fehlt das Bewusstsein, das alle Krankheiten mit kleinen Störungen beginnen, und dass sie sich zu richtigen Krankheiten aufschaukeln, wenn sie medikamentös zugedeckt werden und nicht danach gefragt wird, was an der Lebensweise geändert werden muss, damit die Störungen langfristig vermieden werden können.

Die individuelle Prophylaxe wird von der Schuldmedizin auf verhängnisvolle Weise abgewertet. Damit hängt auch zusammen, dass kein Bewusstsein für die Notwendigkeit von alltäglichen Bewegungs- und Entspannungsübungen vorhanden ist, und kaum jemand weiß, dass Entspannungsübungen sehr wirksam mit Atemübungen unterstützt werden können. Die kulturelle Vernachlässigung des Atems raubt so dem Einzelnen die Möglichkeiten, bei kleinen Störungen mit Atemübungen wieder ins Gleichgewicht zurückzugelangen.

Der innere Dialog

Neben der Neubewertung der Emotionen war für mich die Entdeckung des inneren Dialoges ein aufregendes Thema. Seit alters her wird empfohlen, den inneren Stimmen zu folgen und dem inneren Dialog Beachtung zu schenken, der auf dem Hintergrund des Bewusstseins von selbst abläuft. Bei der Erklärung dieses Phänomens ging ich von dem Versuch aus, auch das Denken als einen physiologischen Atemprozess zu verstehen. Da alle Konsonanten und Vokale mit Hilfe des Atems produzierte Laute sind, kann daraus abgeleitet werden, dass auch das Sprechen als atemvermittelte Aktivität verstanden werden kann. Ich folge der These, dass Denken verinnerlichtes Sprechen ist. Dann ergibt sich daraus, dass Denken ein innerer Prozess ist, der vom Atem getragen wird. Denken kann automatisch und unabhängig vom bewussten Ich ablaufen, weil es in die Kontaktfunktion des Atems eingebunden ist. Der Organismus kann deshalb versuchen, im inneren Dialog eine Lösung für seelische Verletzungen zu finden. Das wird aber misslingen, wenn die Emotionen chronisch zurückgehalten werden und damit der Atem chronisch reduziert wird.

Atemkultur

Zur Aufklärung gehört auch ein sensibles Atembewusstsein. Meine Idee, dass aufgeklärte Kulturen primär Atemkulturen sein müssten, entstand aus der Einsicht, dass die alten Kulturen, deren Weltverständnis sich um den Begriff der Seele drehte, sich letztlich um ein tieferes Verständnis des Atems bemüht haben. Ihre Interpretationen des Atems waren aber von den vorherrschenden mythologischen Vorstellungen geprägt. Es steht die Aufgabe an, das Atemverständnis von allen mythologischen Beimengungen zu befreien, damit es ein Teil des Alltags der Menschen werden kann.